Deutschlands größte städtische Ausgrabung am Molkenmarkt stellt Geschichte und Wohnungsnot gegenüber
Backsteinmauerreste aus dem Mittelalter, Fundamente von Herrenhäusern aus dem 17. Jahrhundert und Unterkonstruktionen eines Elektrizitätswerks aus den 1890er Jahren – diese Überreste liegen inmitten einer Baugrube in der deutschen Hauptstadt. Dahinter bilden das nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaute Berliner Rathaus und der Fernsehturm, einst Symbol kommunistischer Macht, die Kulisse für den einst ältesten Platz der Stadt.
Die Ausgrabung am Molkenmarkt, die größte stadtarchäologische Grabung Deutschlands, steht nach fünf Jahren kurz vor dem Abschluss.
Vom unteren Ende der archäologischen Ausgrabungsstätte aus bietet sich ein Blick wie auf eine mehrschichtige Bühne: versetzte Symbole aus den wichtigsten Epochen der Stadt, hilfreich angeordnet in chronologischer Reihenfolge.
Schon bald wird mit dem Bau begonnen und auf der 21.500 Quadratmeter großen Fläche werden Hunderte dringend benötigter Wohneinheiten entstehen, von denen die Hälfte, wie das Unternehmen verspricht, erschwinglich sein werden.
Doch das Gelände ist Gegenstand hitziger Debatten geworden, und die Berliner sind sich uneinig, wie die Architektur auf diesem zukünftigen Gelände aussehen soll.
Während einige Gruppen auf historische Stile dringen, meinen andere, diese Designanforderungen gingen auf Kosten der Erschwinglichkeit – und stellten eine idealisierte Version der Vergangenheit dar.
Diese Dynamik ist in ganz Deutschland spürbar, wo jedem größeren Bauprojekt Spannungen in Bezug auf die Vergangenheit des Landes zugrunde liegen: Inwieweit sollte sich das künftige Stadtgefüge an der Geschichte des Landes orientieren?
Der Molkenmarkt wurde nach den Milchprodukten benannt, die dort einst gehandelt wurden. Umgeben von Maschendrahtzäunen und Erdhügeln hat er heute kaum noch Ähnlichkeit mit dem Platz, der er einmal war. Und er sieht ganz sicher nicht wie das mittelalterliche Herz der Stadt aus. Aber genau hier schlugen im 13. Jahrhundert mittelalterliche Siedler am Ufer der Spree ihr Lager auf.
Im Laufe der Jahrhunderte entstanden in diesem Gebiet zunächst mittelalterliche Bauten und später prachtvolle Villen für die Reichen.
Im 17. Jahrhundert wurde es ein Marktplatz und war später dicht mit Wohnhäusern besiedelt.
Durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg war dieses Gebiet weitgehend leer und in den 1960er Jahren wurde es von der Deutschen Demokratischen Republik (Ostberlin) zu einem der größten Verkehrsknotenpunkte der Stadt ausgebaut. Mit seinen acht Fahrspuren bildete es eine Lücke in der sonst so dichten Stadt.
Seit 2019 ist das Gebiet reich an Funden. Aus dem Sandboden Berlins wurden rund 600.000 Artefakte geborgen, darunter eine Bohlenstraße aus der Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt im frühen 13. Jahrhundert, mittelalterliche Lederschuhe, Ausrüstungsgegenstände aus der frühen Einführung der elektrischen Beleuchtung in Berlin und Blindgänger aus dem Krieg.
Es sind nur noch wenige solcher unbebauten Flächen übrig, und es ist die größte davon, was es zu einem bevorzugten Ort für eine Neubebauung macht, sagt Björn Zäugle, einer der Archäologen, die die Ausgrabung leiten. „Es ist eine gute Gelegenheit, die Lücke zu füllen, sie attraktiver zu machen und Wohnungen zu bauen“, sagte er.
Im Jahr 2016 gab die Stadt ihre Pläne bekannt, auf dem Gelände ein gemischt genutztes Gebäude mit 450 Wohneinheiten zu errichten.
Doch ein Jahr vor der Fertigstellung der Aushubarbeiten ist das Aussehen der künftigen Bebauung noch ungewiss.
Am Standort Molkenmarkt stehen sich zwei Ansätze gegenüber.
Eine Ansicht geht davon aus, dass eine Architektur, die auf die historische Bedeutung eines Ortes verweist, Besucher und Kunden anziehen wird, da Berlin wie viele kanadische Städte Schwierigkeiten hat, Geschäfte in sein Stadtzentrum zu locken.
Die für das Gelände zuständige Landesregierung von Berlin will keine exakten Nachbauten der früheren Gebäude auf dem Gelände errichten, fordert aber eine „aktuelle Interpretation“ dieser Stile. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass man sich bei der Gestaltung an den für das Viertel typischen Wohnhäusern aus dem 19. Jahrhundert orientiert: vier oder fünf Stockwerke, ein kräftiges Schrägdach, hohe Fenster und Materialien wie Stein und Ziegel.
Aber andere, darunter Die Interessenverbände Offene Mitte Berlin und Die Berliner Plattform weisen darauf hin, dass diese Art der Bebauung teurer sei und somit bezahlbarem Wohnraum im Wege stehe.
Berlin, einst eine Stadt, die für ihre günstigen und reichlichen Immobilien bekannt war, weist heute eine Leerstandsquote von weniger als einem Prozent auf. Langsame Entwicklung, zunehmende Zuwanderung in die Stadt und steigende Mieten erhöhen den Druck auf Berlin, mit neuen bezahlbaren Wohnungen Schritt zu halten.
Aus einem Wettbewerb im Jahr 2022 gingen zwei vielversprechende Beiträge hervor: Einer setzte auf ein historisches Design, der andere legte den Schwerpunkt auf Erschwinglichkeit.
Anstatt sich für einen von beiden zu entscheiden, hat die Stadt bei der Erstellung eines im letzten Jahr verabschiedeten Rahmenplans Aspekte aus beiden berücksichtigt, was manche als Ausweichmanöver ansehen. Der Plan legt die allgemeinen Erwartungen an den Standort dar, aber nicht die Details der Erwartungen an die Gebäudegestaltung.
Im Juni beauftragte die Berliner Regierung das Frankfurter Architekturbüro Mäckler Architekten GmbH, in ihrem Namen die architektonischen Gestaltungsrichtlinien für das neue Viertel in einem Handbuch darzulegen. Dieser Plan wird bis Ende des Jahres erwartet, und wofür sich das Büro entscheiden wird, ist noch nicht klar.
Inzwischen scheint die Zahl der geplanten Wohnungen zu sinken. Am 12. August berichtete die „Berliner Zeitung“, dass in den neuen Unterlagen der Stadt für das Bauvorhaben nur noch 137 Wohneinheiten vorgesehen seien und nicht wie versprochen 450.
Ein Landesvertreter sagte gegenüber der Berliner Zeitung zwar, dass an anderer Stelle auf dem Gelände weitere 130 Wohnungen gebaut werden könnten, doch derzeit scheint dies nicht geplant zu sein.
Der Molkenmarkt ist nicht der einzige umstrittene Ort im Großraum Berlin. Auch um den Wiederaufbau der Garnisonkirche im rund 30 Minuten entfernten Potsdam wird debattiert. Dabei handelt es sich um eine nahezu exakte Rekonstruktion eines Gebäudes aus dem Jahr 1735.
Die ursprüngliche Kirche war der berühmte Ort eines Handschlags zwischen Adolf Hitler und dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg im Jahr 1933, der den offiziellen Beginn der der nationalsozialistischen Macht. Bevor es 1945 durch alliierte Bomben zerstört wurde, nahm es einen prominenten Platz in der Nazi-Ikonographie ein.
Der von der Bundesregierung finanzierte Wiederaufbau des Gebäudes war Gegenstand politischer Debatten, da das Land mit dem Aufstieg der extremen Rechten zu kämpfen hat, die mit nationalistischen Ansichten und einer revisionistischen Sicht der Geschichte in Verbindung gebracht wird.
In Deutschland ist die Stadtplanung, insbesondere wenn sie mit der Geschichte in Zusammenhang steht, häufig Anlass zu Kontroversen.
Und am Molkenmarkt soll 2026 mit dem Bau begonnen werden. Bis dahin müssen sich die Berliner damit auseinandersetzen, welche architektonische Schicht sie dem Erbe ihrer historischen Stadt hinzufügen möchten.
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