Sahra Wagenknecht nutzt die Macht der Rechten gegen sie selbst
Auf einer Bühne in Brandenburg an der Havel, eine Stunde außerhalb Berlins, hält Sahra Wagenknecht 20 Minuten nach Beginn ihrer Rede einen Moment inne. Die ehemalige Kommunistin und aufstrebende politische Führungspersönlichkeit blickt auf eine Menschenmenge von Hunderten in der ehemaligen ostdeutschen Landeshauptstadt.
Bisher hat sie bereits ihre wichtigsten Wahlkampfthemen angesprochen: die steigenden Lebenshaltungskosten für die Mittelschicht, die Herablassung der Berliner Bundespolitiker in ihren „Hafermilch-Macchiato“-Blasen und ihre Ansicht, dass Deutschland von der „Woke“-Ideologie in die Irre geführt wurde. Doch jetzt kommt sie zum entscheidenden Thema: Krieg und Frieden.
„Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich als Teenager in den Achtzigern aufwuchs und wir alle – oder zumindest ich – Angst vor einem Atomkrieg hatten“, sagt sie, und ihre Stimme hallt von den niedrigen Gebäuden rund um den Platz wider. „Jetzt wird der Eiserne Vorhang wieder hochgezogen und ein neues Wettrüsten in Gang gesetzt. Was ist das für ein Wahnsinn?“
Viele der Zuschauer waren gekommen, um das zu hören. Die Menge bricht in Jubel aus.
Die Angst vor den wirtschaftlichen Kosten der deutschen Rolle im Ukraine-Krieg ist in dieser Stadt stark spürbar. Frau Wagenknecht, Vorsitzende einer Bundespartei, die sie erst vor acht Monaten gegründet hat, weiß das nur zu gut.
Ihre „Krieg und Frieden“-Botschaft verhalf ihrer Partei, der Sahra Wagenknecht, zum Aufstieg Die Allianz (BSW, so die Abkürzung) erreichte bei den beiden Landtagswahlen Anfang des Monats starke dritte Plätze und überholte damit die drei Parteien, die die Regierungskoalition auf Bundesebene bilden. Umfragen deuten auch hier in Brandenburg auf ein starkes Ergebnis am 22. September hin.
Doch die Kriegsgefahr ist nicht das einzige, was Wähler anzieht. Wagenknechts Partei hat ihre Wurzeln in der linken Wirtschaftspolitik, hat aber einen Nerv getroffen, indem sie auch Sorgen aufgreift, die zuvor fast ausschließlich der wiedererstarkten extremen Rechten vorbehalten waren. Dazu gehören die in den ehemaligen sozialistischen ostdeutschen Bundesländern weit verbreitete Stimmung gegen Einwanderer und die Elite sowie das Gefühl, mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung mit Westdeutschland ein wirtschaftlicher Außenseiter zu sein.
Die AfD ist die erste rechtsextreme Partei in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands, die eine Landtagswahl gewinnt
Die Partei hat bereits genug Unterstützung gesammelt, um in zwei Bundesländern, in denen gerade Wahlen stattgefunden haben, zum Königsmacher aufzusteigen. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen brauchen die anderen Parteien die BSW als Koalitionspartner, um die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) auszuschalten, die von der deutschen Sicherheitsaufsicht als extremistische Gruppe angesehen wird.
Der Aufstieg der AfD hat den Rechtsnationalismus erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer bedeutenden Kraft in der deutschen Politik gemacht. Während die zersplitterten etablierten Parteien des Landes nun nach Wegen suchen, diesem Aufstieg vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr entgegenzuwirken, stellt die BSW einen möglichen Weg nach vorn dar, der jedoch seine eigenen potenziellen Probleme mit sich bringt.
In den bundesweiten Meinungsumfragen liegt die BSW bei rund 10 Prozent und Frau Wagenknecht scheint fest entschlossen, die herrschenden Mächte des Landes zu stürzen.
„Diejenigen von uns, die sich noch an die Endzeit der Deutschen Demokratischen Republik erinnern, haben ein Déjà-vu-Erlebnis“, sagte Wagenknecht Anfang der Woche zu den Anwesenden und bezog sich damit auf die chaotische Zeit vor der Wiedervereinigung. „Es ist nicht mehr die alte DDR, aber es fühlt sich an, als hätten die Regierenden sie nicht mehr unter Kontrolle.“
Links-Rechts-Fusion
Anders als viele andere Spitzenpolitiker Deutschlands – die meisten davon älter und männlich – fällt Frau Wagenknecht auf: charismatisch, selbstbewusst und elegant, mit einer Garderobe aus strukturierten Jacken und Pumps, ihr Haar ist normalerweise zu einem Chignon zurückgebunden. Es ist ein Look, den die Deutschen durch ihre häufigen Medienauftritte gut kennen.
Frau Wagenknecht, 55, wurde in Ostdeutschland als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters geboren und wuchs in einer thüringischen Kleinstadt auf. Sie betrat das politische Leben, als sie mit 19 Jahren der kommunistischen SED beitrat, der Regierungspartei der DDR, wenige Monate vor dem Fall der Berliner Mauer.
Nach der Wiedervereinigung blieb sie politisch aktiv und stieg in der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) auf. 2004 zog sie ins Europaparlament ein und wurde damit zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten der politischen Linken Deutschlands. 2009 wurde sie in den Bundestag gewählt. Dieses Amt hat sie seitdem inne.
Der Erfolg der Rechtsextremen bei den deutschen Wahlen erhöht den Druck auf die Regierung von Olaf Scholz
2007 fusionierte die PDS mit einer anderen Partei zur Partei Die Linke. 2013 wurde sie zur größten Oppositionspartei auf Bundesebene, und zwei Jahre später wurde Wagenknecht ihre Ko-Vorsitzende. 2017 wurde die Partei von anderen Oppositionsparteien überholt.
Doch im Laufe der Jahre wichen ihre Ansichten immer mehr von denen der Linken ab. Sie kritisierte die Reaktion Deutschlands auf die Flüchtlingskrise 2015, die COVID-19-Lockdowns und die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine. Sie wandte sich gegen den ihrer Meinung nach auf Identitätspolitik ausgerichteten Fokus ihrer Partei.
Im Januar 2024 gründete sie eine neue Partei unter ihrem eigenen Namen. Für einige Beobachter schien dieser Schritt eine natürliche Entwicklung zu sein.
„Sie ist eine professionelle, erfahrene und sehr strategische Politikerin, die ihre Ziele sehr klar verfolgt. Sie weiß, was sie will“, sagte Antonios Souris, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin.
Manche von Wagenknechts politischen Maßnahmen scheinen direkt aus dem Werkzeugkasten des konservativen Populismus zu stammen.
Doch die Rhetorik der BSW ist durch Ideen von links gemildert: Die Partei unterstützt großzügigere Sozialleistungen, höhere Mindestlöhne und bessere Renten. Sie will die Reichen besteuern, die Lehrergehälter erhöhen und die Arbeitnehmer durch die Stärkung der Tarifverhandlungen schützen. „Linkskonservativismus“ ist einer der oxymoronischen Begriffe, mit denen die Ideologie von Frau Wagenknecht beschrieben wird.
Wagenknecht hat erklärt, sie verurteile den Einmarsch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Ukraine, wolle aber gleichzeitig die Öl- und Gaslieferungen aus Russland wieder aufnehmen. Sie betont, die Entscheidung Deutschlands, diese Lieferungen einzustellen, schade in erster Linie Deutschland und Europa und nicht Moskau.
„Wenn sie uns sagen: ‚Wir tun das, um Druck auf Putin auszuüben‘, hätte ich nichts dagegen – wenn es tatsächlich dazu führen würde, den Ukraine-Krieg zu beenden“, sagte sie dem Publikum in Brandenburg.
„Aber wir müssen der Realität ins Auge sehen. Russland braucht uns als Käufer für Öl und Gas nicht. Es gibt genügend andere, die sich über billige russische Rohstoffe freuen.“
Kommentar: Was Deutschland spaltet, ist nicht die „Anti-Einwanderungspolitik“. Es ist schlimmer
Während der Rede von Frau Wagenknecht war auch die Anwohnerin Nance Möwe anwesend, die sagte, dass die Beendigung des Krieges in der Ukraine durch Diplomatie oberste Priorität habe. Sie lehnte Pläne, amerikanische Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, entschieden ab.
„BSW ist eine Stimme für den Frieden, wie man sie so selten findet“, sagte sie. „Diese Frau ist die einzige Politikerin in Deutschland, die diese Punkte klar anspricht.“
In der Migrationsfrage formuliert Wagenknecht ihre Ansichten oft im Sinne der Unterstützung deutscher Arbeitsplätze und des Sozialstaats – Ideen, die man normalerweise mit der politischen Linken assoziiert. Doch ihre Rhetorik spiegelt die Botschaften rechtsextremer Parteien wider. Am Montag sagte sie vor Journalisten im Berliner Parlamentsgebäude, dass die islamistische Radikalisierung im Land zunehme. Sie erwähnte, ohne jedoch konkrete Angaben zu machen, dass „bereits Elfjährige mit Messern herumlaufen“.
Bei den Teilnehmern in Brandenburg standen die Auswirkungen der Migration im Vordergrund. „Jeder kann als Besucher hierher kommen. Er kann sich integrieren, wenn er will, das ist in Ordnung. Aber wenn jemand unseren Weg nicht akzeptiert, soll er zurückgehen“, sagte Frank Müller, ein weiterer Anwohner.
Wagenknecht sieht in den Bestrebungen des Landes, Verbrennungsmotoren ab 2035 zu verbieten, einen „Sargnagel“ für die Autoindustrie. Elektroautos seien noch immer teuer, und die Infrastruktur zum Aufladen sei noch nicht vollständig ausgebaut, so Wagenknecht.
„Sicher, die grünen Viertel in den Berliner Innenstadtbezirken können sich diese Autos leisten, aber viele Menschen im ganzen Land können es sich einfach nicht leisten“, sagte sie in Brandenburg.
Diese Kombination aus Links und Rechts innerhalb einer Partei ist in Europa nicht einzigartig. Ähnliche Ideologien finden auch in Osteuropa und den skandinavischen Ländern Anklang, wo die Wähler in sozialen Fragen und in der Wirtschaftspolitik eher links, in traditionellen Familienwerten sowie bei Themen wie Migration und Euroskeptizismus aber weiter rechts stehen.
„Deutschland ist keine Ausnahme, sondern folgt einfach anderen Beispielen. Und das ist eine neue Erfolgsformel“, sagt Philip Manow, Politikprofessor an der Universität Siegen.
Machtmakler
Weniger als ein Jahr nach seiner Gründung hat die BSW bereits zweimal die Macht erlangt, über die Bildung oder Zerschlagung von Landesregierungen zu entscheiden.
In Deutschland muss eine Partei 50 Prozent der Stimmen erhalten, um eine Regierung zu bilden, oder eine Koalition mit anderen Parteien bilden, um eine Mehrheit zu bilden. Minderheitsregierungen können vorkommen, sind aber sehr selten.
Die Koalitionsverhandlungen nach den jüngsten Landtagswahlen sind noch nicht abgeschlossen. Doch politische Experten haben prognostiziert, dass sich die BSW mit 15 Prozent der Stimmen in Thüringen und 11 Prozent in Sachsen zu einem entscheidenden Koalitionspartner gemacht hat, falls die anderen führenden Parteien nicht mit der AfD zusammenarbeiten wollen, was sie alle versprochen haben.
Die Situation ist ein Beispiel für einen der am häufigsten geäußerten Kritikpunkte am deutschen Wahlsystem: Kleine Parteien verfügen traditionell über einen Einfluss, der in keinem Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl steht.
In einem Gespräch mit Journalisten am Montag Wagenknecht sagte, der BSW sei offen für Koalitionsgespräche, werde sich aber nicht daran beteiligen, wenn ein Koalitionsvertrag keine außenpolitischen Verpflichtungen enthalte, bei deren Formulierung die deutschen Staaten nicht mitwirken. „Wenn wir uns darauf einigen können, sind Regierungen möglich, und wenn nicht, dann nicht“, sagte sie gegenüber Reportern.
Experten fragen sich daher, wie die anderen Parteien Wagenknechts Forderungen erfüllen könnten. Jegliche Vereinbarungen wären wahrscheinlich symbolischer Natur, sagt Reimut Zohlnhöfer, Politikwissenschaftler an der Universität Heidelberg. Aber sie würden vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr ein wichtiges Signal senden.
Der Erfolg von Parteien wie der AfD und dem BSW könne die deutschen Mainstream-Parteien dazu zwingen, ihre Politik nach rechts zu verschieben, sagt Randall Hansen, Professor für europäische Politik an der Munk School of Global Affairs and Public Policy der Universität Toronto.
Die deutsche Bundesregierung hat bereits ihre offizielle Position zur Migration und zum Krieg in der Ukraine geändert.
In ihrem im Juli veröffentlichten Haushaltsentwurf kündigte die Regierung an, sie werde ihre Ausgaben für die Ukraine im nächsten Jahr halbieren, von 8 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 4 Milliarden Euro – und das trotz der Befürchtungen, dass eine Trump-Präsidentschaft in den USA eine deutlich geringere Unterstützung von jenseits des Atlantiks bedeuten würde.
Diese Woche kündigte die Bundesregierung an, sie werde die Grenzkontrollen deutlich verschärfen, nachdem es im August zu einem tödlichen Messerangriff gekommen war. Der Angriff soll von einem syrischen Mann verübt worden sein, der abgeschoben werden sollte.
„Die etablierten Parteien werden das Bedürfnis verspüren, ihre Segel ein wenig zu hissen, um den ostdeutschen Wind zu nutzen“, sagte Prof. Hansen.
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